"Ich weiß auch nicht genau, was ich da mache. Aber es ist gut." (T.C. Boyle)
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Erinnerungen

Wenn ich im Sommer eine Autotür öffne und mir der Duft eines Apfels in die Nase steigt, denke ich an vier Kinder auf der Rückbank, einen pummligen schwarzen Hund und an die Hinterköpfe meiner Eltern. Ich sehe die dunklen Locken meiner Mutter, den leicht gebräunten Nacken meines Vaters, und das Radio dudelt Schlager, die heute gefühlte hundert herrlich kitschige Jahre alt sind. Mindestens.

Blacky lag unordentlich eingeklemmt irgendwo zwischen uns Vieren, für Kurzstrecken transportierten wir sie auch gern mal im Kofferraum, das schadete ihr nicht unbedingt und wir saßen bequemer, denn so gelenkig sie war, umso quadratischer konnte sie sich machen. Mein Opa Ebsche, der mit ihr ab und an einen Wacholder trinken ging, behauptete steif und fest, sie sei ein sibirischer Hirtenhund oder ähnlich Beeindruckendes, aber tatsächlich war sie die Tochter vieler beschwipster Väter.

Ein Apfel, der im Sommer bei brütender Hitze in einem verschlossenen Auto auf der Ablage liegt, riecht für mich nach weitaus mehr als nur nach einem mächtig heiß gewordenen Apfel, der schlichtweg schlampig vergessen wurde. Er riecht nach Leder, Tabak, Lachen, Hund, Sonne. Er riecht nach meiner Kindheit.

So riecht Leben

Das muss jetzt gar nicht weiter erklärt werden, wäre auch langweilig, weil es einfach nur eine von unzähligen ganz persönlichen Erinnerungen ist, die ich in mir trage wie die meisten von uns. Sie alle beim Namen zu nennen und Bilder zu liefern, die zu ihnen gehören wie die Gedanken, die uns beim Betrachten von privaten Fotos begleiten, würde in einer unendlichen Geschichte ausufern. Einer Geschichte, da bin ich auch als mitteilungsfreudige Autorin vernünftig realistisch, die so unspektakulär für andere, eben für Fremde wäre wie der Gestank gekochter Leber auf meinem Teller (einmal und niemals wieder) oder das herzhafte Rülpsen meines Hundes, das sein Abendessen verrät.

Die fetten Bäuerchen von Digger sind mit Sicherheit nicht Jedermanns Geschmack, - ich stehe so unbedingt auch nicht drauf -, aber ich nehhme sie hin, weil ich ihn liebe. Gekochte Leber liebe ich nicht. Punkt. Das reicht als Information. Es gibt Momente, Gefühle, Gedanken, Bilder, die gar nicht geteilt werden müssen.

Manchmal ist es einfach nur ein Luftgemisch da draußen, das Augenblicke wach werden läßt. Ich atme ein und weiß, dass die Luft an ganz bestimmten Tagen meines Lebens genau so gewesen sein muss. Sie ist dann wie die Seife, die ich vor mehr als dreißig Jahren an irgendeiner Bushaltestelle in einem urigen Dörfchen in der Nähe von Valencia gerochen und nie wieder vergessen habe. Keine Ahnung, wie sie heißt, ob sie wirklich gut oder teuer , vielleicht auch gewöhnlich oder selten war, aber dieser für mich einmalige Duft ist immer noch da. Wenn mir zufällig etwas Ähnliches unter die Nase kommt, befinde ich mich wieder im Gestern und rieche weit mehr. Ich rieche ein kleines Stück meiner ganz persönlichen Geschichte.

Ich stehe an einer Bushaltestelle, es ist warm, Frühling, Sommer, ich rieche Benzin und Staub und denke an den Süden. Es ist nicht das Salz des Meeres, keine besondere Blume, die mich reisen läßt, es ist der Geruch an der Haltestelle. Dann bilde ich mir ein, dass auch diese Seife, vielleicht Perfum, egal, in meinen Kopf steigt. Es ist nicht da, natürlich nicht, tatsächlich habe ich es nie wieder wirklich gerochen. Aber ich schwöre, dass es der erotischste Duft ist, den man sich vorzustellen wagt.

Ich suche ihn immer noch. Und irgendwo irgendwann spüre ich ihn auf.

Mag aber sein, dass die Vorstellung von ihm viel besser ist als alles, was ich jemals finden könnte. Es ist gut. So, wie es ist.

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Foto: Gottes kalte Gabe

Karin Reddemann

Gottes kalte Gabe

Ein totes Mädchen tanzt auf Gräbern und spielt Gott; Max Kellermann bekommt sein erstes gutes Gespräch und eine letzte Rose nach seinem großen Flug; Kurt dichtet über Zwerge … und Vater weint trocken, weil gestern eben gestern ist. Die Geschichten von Karin Reddemann lassen den Leser in ein Meer von Bildern und Worten tauchen, das herrlich ehrlich nach Salz schmeckt. Gottes kalte Gabe ist eine Auswahl an Short-Stories, in denen Leben passiert. Es macht manchmal atemlos, sie zu lesen.

Dr. Ronald Henss Verlag, 2006
ISBN 978-3-9809336-3-6

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